Soziopathen

Der Begriff "Soziopath" wird im Deutschen gleichgesetzt mit "Psychopath". Im englischsprachigen Raum hingegen erfolgt eine Differenzierung.
Dort wird der Begriff fast vollständig mit Abweichungen im Sozialverhalten im Rahmen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung verwendet, was den Kern der Sache wohl eher treffen dürfte. In diesem Sinne ist der Begriff "Soziopath" auch im Rahmen dieser Ausführungen definiert. Demnach ist der Soziopath eine sozial nicht oder sehr schlecht integrierte Person, welche die üblichen Regeln der Gesellschaft ignoriert. Er neigt möglicherweise zu sadistischen Anfällen oder ist (ggf. unbewusster) Realsadist. Innerhalb einer ihn nie infrage stellenden Gruppe wird sein unethisches Verhalten jedoch zur Norm und er hat keinen inneren Konflikt. Der Volksmund hat einen eigenen Begriff für Soziopathen - er bezeichnet sie schlicht als "Charakterschweine".

Soziopathen zeichnen sich aus durch:

Geltungsbedürfnis: Der Soziopath macht grundsätzlich nur das, was ihm selbst im gerade aktuellen Moment richtig erscheint. Er befindet sich praktisch ständig in Opposition zu seinen Mitmenschen. Fragt er die um Rat, so tut er das Gegenteil von dem, was ihm empfohlen worden ist. Er braucht unbedingt einen "Kronprinzen" und einen "Fußabtreter". Gruppendynamik ist ihm fremd. Eine "Gruppe" ist für ihn eine mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Ansammlung von Leuten, denen er vorsteht.

Selbstunsicherheit: Wenn jemand auf irgendeinem Gebiet "besser" oder "kompetenter" ist als der Soziopath, dann wird das ignoriert, verboten, abfällig kommentiert oder lächerlich gemacht. Im Extremfall reicht das bis hin zum Verleugnen von Tatsachen (vgl. Mangel an Einsicht). Womit er sich nicht auskennt, das existiert für ihn nicht; es wird einfach "ausgeblendet". Dadurch braucht er seine Sichtweise nicht zu ändern. Aufgrund seines Geltungsbedürfnisses ist der Soziopath ein Kontroll-Typ. Nichts ist ihm mehr zuwider als ein Gebiet, auf welchem er mangels Kenntnissen nicht mitreden, nicht kontrollieren kann. Das macht ihn nämlich unsicher.

Erhöhte Reizbarkeit: Jede Frage (auch fachlicher Natur) wird als Angriff betrachtet und mit Aggression beantwortet. Unterbleiben derartige Fragen aber, dann fühlt sich der Soziopath schnell übergangen, was seinem Geltungsbedürfnis zuwider läuft. Als Folge davon sucht er die Konfrontation.

Übererregbarkeit und Überaktivität: Alles muß sofort und gleichzeitig gemacht werden, auch wenn dafür wichtigere Dinge liegen bleiben, alles nur angefangen ist und nie etwas fertig wird. Der Soziopath ist nicht nur gut darin, geordnete Abläufe durcheinander zu bringen, er gefällt sich darüber hinaus auch in dieser Rolle. Kommt es dadurch zu Problemen, dann sind die unflexibel reagierenden anderen Schuld - und darüber kann man sich so richtig herrlich Kick-mässig aufregen!

Stimmungslabilität: Was gestern noch super war, das ist heute Mist und muß nochmal - aber anders - gemacht werden. Von dem "anders" hat der Soziopath allerdings bestenfalls eine sehr nebulöse Vorstellung. Von ihm selbst zu machende konkrete Angaben sind ihm zuwider. Für ihn hat das den Vorteil, daß sich nie festzulegen braucht und daher auch nie festzunageln ist. Das sichert seine Position.

Verschrobenheiten: Darunter lässt sich durchaus ein übersteigertes Kontrollbedürfnis verstehen, also die Bespitzelung von Mitmenschen (Kontrolle von deren Post, Beobachtung, PC-Überwachung, Mithören von Telefonaten etc.). Der Soziopath verlangt mitunter von seinen Mitmenschen, zu seinen Gunsten tätig zu werden (auch zu deren eigenem Nachteil oder ausserhalb der gesetzlichen Ordnung) und hält sich allen Ernstes für human und sozial, weil er damit für "Beschäftigung" gesorgt hat (Credo: "Wer beschäftigt ist, macht keine Dummheiten" - und in seinen Augen ist alles das, was ihm nicht unmittelbar dient, eine Dummheit). Verschrobenheiten können allerdings auch in bestimmten Statussysmbolen und im Umgang damit ihren Niederschlag finden - wenn beispielsweise ein Nobelauto kaum gefahren, aber dafür jeden Tag gewaschen wird. Verschrobenheit kann sich in Gedankengängen äussern. Mir kam einmal folgender Satz zu Ohren: "Bildschirmpausen gibt es nicht. Wenn Sie am Bildschirm arbeiten, dann brauchen Sie über kurz oder lang sowieso eine Brille. Ohne Bildschirmpausen früher. Dann ist die Brille billiger und Sie profitieren davon. Dafür sollten Sie mir dankbar sein".

Impulsivität: "Wir machen das jetzt so und was interessiert mich mein Gerede von gestern" - man weiß nie, woran man ist. Es fehlt an Vorgaben und an Definitionen (vgl. Stimmungslabilität). Ziele werden nicht definiert und falls doch, dann ist die Definition schneller wieder veraltet (und damit hinfällig geworden) als sie ausgesprochen wurde.

Hedonismus: Lust wird als Lebensprinzip betrachtet - und zwar ausschließlich die eigene Lust. Dies kann durchaus zulasten Dritter gehen und wirkt dann rücksichts- bzw. skrupellos. So scheut der Soziopath beispielsweise nicht davor zurück, auch in den Privatbereich anderer Leute einzudringen, wenn er sich irgendeinen Nutzen davon verspricht. Er bemerkt nicht einmal, daß er hier die Grenzen des Miteinanders überschreitet. Er chreibt gerne mal seinen Mitmenschen vor, was die außerhalb seines Einflußbereichs zu tun und zu lassen haben (welchen Lebenswandel sie führen müssen, welche Sportarten auszuführen oder zu meiden sind, wann sie sich bei ihm zu melden haben, was sie zuhause wann und wie tun sollen usw.). Manchmal geht er sogar soweit, das auch noch zu kontrollieren und versucht, seine Mitmenschen bei Nichteinaltung seiner selbstgefälligen Vorschriften zu maßregeln (vgl. Geltungsbedürfnis).

Mangelnde Selbstkontrolle: Der Soziopath poltert los, wird ausfällig und beleidigend, mitunter auch zotig. Er bemerkt das nicht unbedingt, denn schließlich ist er es, der nach eigenem Selbstverständnis Recht hat: Er darf das! Seine "Gruppe" jedenfalls stellt ihn nie infrage und schon allein das vermittelt ihm den Eindruck, immer Recht zu haben (vgl. Geltungsbedürfnis). Er gefällt sich in seiner Rolle als "harter Macher".

Mangelnde Empathiefähigkeit: Das Gefühl für Stimmungen fehlt. Einfühlungsvermögen existiert nicht. Der Soziopath ist daher völlig überrascht, wenn irgendjemandem aus seinem Umfeld der Geduldsfaden reisst und es zu einer wie auch immer gearteten Reaktion des Betroffenen kommt. Der Soziopath mag aber keine Überraschungen - er betrachtet sie als Angriff auf seine Person und überreagiert darauf, meist unangemessen aggressiv und unter voller Ausnutzung seiner Möglichkeiten. Solange die Reaktion aber ausbleibt, geht er von einem "guten Klima" aus - denn niemand widerspricht ihm oder zeigt ihm seine Grenzen auf. Ein "gutes Klima" bedeutet für ihn, daß er schalten und walten kann, wie er will und daß andere die Folgen tragen (müssen). Der Soziopath sucht daher bei anderen auch ganz gezielt nach Schwächen und Fehlern, damit er die in irgendeiner Form zu seinen Gunsten nutzen oder auslegen kann. So kann ein (kleiner) Unruheherd geschaffen werden und das lenkt u. U. davon ab, sich über das "gute Klima" schädliche Gedanken zu machen.

Mangel an sozialer Verantwortung: Folgenabschätzung ist unbekannt. Was gehen den Soziopathen andere an? Die sind schließlich für ihn, für sein ganz persönliches Lustprinzip da! Wenn denen dadurch Nachteile entstehen, dann sind sie eben selbst schuld, weil ihre Lebensart falsch oder unangemessen ist. Der Soziopath sieht sich und seine Ansichten dabei selbst im absoluten Mittelpunkt, auf welchen alles ausgerichtet sein muß - er ist das Maß aller Dinge. Er gerät nicht in Not (Arbeitslosigkeit, Schulden, Krankheit...) - wenn das anderen passiert, dann müssen sie nach seinem Verständnis selbst daran Schuld gewesen sein. Und wem sowas schon einmal passiert ist, dem kann man sowieso nicht trauen - der kann immer wieder solche Probleme heraufbeschwören! Mit dem will der Soziopath nichts zu tun haben.

Mangel an Einsicht: Unangenehme Tatsachen werden ignoriert und für den Überbringer unangenehmer Nachrichten gilt das Prinizp des alten Roms - im Zweifelsfalle wird (wenn gar nichts mehr geht) die fachliche Kompetenz der Nachrichtenquelle oder des Überbringers in Zweifel gezogen oder unglaubwürdig gemacht, auch durch haltlose Gerüchte. Wenn mit genug Dreck geworfen wird, dann wird irgendwann schon mal was hängen bleiben. Das geht hin bis zum Mobbing! Der Soziopath gefällt sich darin, seine Vorurteile zu pflegen - koste es, was es wolle! Ihm selbst ist dabei allerdings nicht bewusst, daß er Vorurteile hat - ganz im Gegenteil!

Mangel an Furcht-, Reue- und Schuldgefühlen: Erleidet jemand aufgrund des Verhaltens eines Soziopathen Nachteile, dann interessiert dies den Soziopathen nicht. Er macht sich keine Gedanken darüber - denn schließlich ist er selbst ja nicht betroffen. Also was zum Teufel sollen ihn andere interessieren? Dafür ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und viel zu sehr von sich selbst überzeugt. Aus Mangel an Schuldgefühl lügt der Soziopath, unterstellt seinen Mitmenschen alles Mögliche und stellt ihnen sogar Fallen. Wichtig ist ausschließlich, daß er selbst innerhalb "seiner" Gruppe glänzt (z. B. durch angesehene, ehrenamtliche Posten u. ä.) - er "glänzt" zwar auf Kosten anderer, aber das braucht keiner zu wissen und das geht auch keinen was an. Um zu "glänzen" wird da auch schon mal aus reiner Berechnung die Patenschaft für ein Kind in der dritten Welt übernommen: "Schaut her, wie sozial eingestellt ich doch bin!". Aber wehe, wenn besagtes Kind mal zu Besuch kommen will...

Es gibt einiges an experimentalpsychologischen Studien zu Soziopathen. Sie weisen in die Richtung, daß Soziopathen deutlich schlechter als "normale" Kontrollpersonen das Vermeiden von aversiven Reizen erlernen können. Sie deuten ferner an, daß das antisoziale Verhaltensmuster Ausdruck der Suche nach Aufregung ("sensation seeking") zur Steigerung der Aktivität im zentralen und vegetativen Nervensystem sein könnte.

Die o. a. Verhaltensmuster haben erfahrungsgemäß zwei auffällige Schwerpunkte: nämlich an den beiden Enden der sozialen Skala. Am unteren Ende sind diese Verhaltensmuster eigentlich sogar sinnvoll - schließlich geht es möglicherweise um das nackte Überleben. Am oberen Ende können sie durchaus als Resultat von zuviel Wohlstand entstanden sein - eben als Ausdruck der Suche nach Aufregung (s. o.), als Ausdruck des permanenten Wunsches nach dem "Kick", weil der Betroffene sich andernfalls langweilt.

Wer allerdings in die Verlegenheit gerät, es mit einem Soziopathen in einer Führungsposition zu tun zu bekommen, der hat ganz schnell die Arschkarte gezogen. Nun ist es leider so, daß man einen Soziopathen nicht sofort erkennt. Aber gerade in Unternehmen gibt es Anzeichen, auf die man achten sollte.

Hier sind die sieben Auffälligsten davon:

1. Gibt es abschließbare Schreibtische, Spinde, Rollcontainer für die Mitarbeiter? Falls nein, dann gibt es auch keine Privatsphäre. Soziopathen stören sich an Privatsphären, denn die laufen ihren Verhaltensmustern zuwider. Die entziehen sich ihrer Kontrolle.

2. Finden sich am Arbeitsplatz persönliche Gegenstände (Ü-Ei-Figuren, Fotos der Familie, Blumen etc.)? Falls nein, dann sind die Leute nur zum Arbeiten da - eben Verlängerungen von Maschinen, die auch wie Maschinen behandelt (und ausgetauscht) werden. Maschinen brauchen nichts Persönliches. Soziopathen mögen Maschinen. Die widersprechen ihnen nicht. Eine Maschine wird ein- und ausgeschaltet. Sie funktioniert. Wenn nicht, dann wird sie ersetzt.

3. Führen die Mitarbeiter untereinander zwanglose Gespräche? Falls nein, dann gibt es entweder ein Redeverbot oder aber keiner sagt was, weil er andernfalls als unterbeschäftigt betrachtet (und gemaßregelt) wird. Es kann auch gut sein, daß sich alle in Konkurrenz zueinander befinden. Sowas kommt dem Geltungsbedürfnis eines Soziopathen sehr entgegen. Gerade das Konkurrenzverhalten verhindert zuverlässig, daß sich die Gruppe gegen ihn wendet.

4. Gibt es einen überdimensionierten Chef-Parkplatz, während die Mitarbeiter woanders suchen müssen? Falls ja: Wenn es nicht um sachliche Gründe, sondern nur um Geltungssucht geht, dann kommt das dem Soziopathen-Mangel an Einsicht sehr entgegen.

5. Hebt der Boss sich bewusst von seinen Mitarbeitern ab (Nobelauto, Designerkleidung, Büro ggf. mit Vorzimmer)? Falls ja, dann wird damit signalisiert "Seht her, ich bin anders, ich habe das Sagen" - typisch für ein soziopathisches Geltungsbedürfnis.

6. Betont der Boss (auch in Anzeigen) immer wieder das "gute" Betriebsklima? Falls ja, dann bedeutet das, daß ein gutes Betriebsklima für ihn selbst keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr etwas ist, was herausgestellt werden muß. Soziopathen neigen zur Hervorhebung von Selbstverständlichkeiten - weil es sonst nichts gibt, was herauszustellen wäre.

7. Liegen zwischen einem Stellenangebot und der Stellenbesetzung vielleicht nur ein paar Tage bis maximal hin zu zwei Wochen? Falls ja, dann hat möglicherweise jemand das Ganze "dicke" gehabt und den Soziopathen "sitzengelassen", so daß jetzt binnen kürzester Frist ein Ersatz her muß - egal wie. Oder der Soziopath ist (mal wieder) Amok gelaufen und hat jemanden kurzfristig (also fristlos) entlassen - irgendein Grund findet sich immer und der fehlende Kündigungsschutz bei Unternehmen mit bis zu 10,5 Mitarbeitern kommt dem ja auch sehr entgegen. Sicher, das muß nicht immer so sein - es gibt auch echte Notlagen. Aber langfristige Planung (= Zieldefinition) und kurzfristige Personalsuche schließen einander normalerweise aus.

Soweit meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Interessanterweise decken die sich weitestgehend mit dem, was die (Fach-) Literatur dazu zu sagen hat - nachzulesen bspw. in "Gehirn & Geist Nr. 3/2005, S. 22-26" im Beitrag "Senya Müller: Schlangen in Nadelstreifen". Dort wird der Soziopath als ein Mensch mit "Dissozialer Persönlichkeitsstörung" beschrieben. Dieses Krankheitsbild ist nach der "Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10, Kap. V(F)" wie folgt charakterisiert:

1. Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen - insbesondere dem Leid - anderer.
2. Deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen.
3. Unvermögen zur Aufrechterhaltung längerfristiger Beziehungen, aber keine Schwierigkeiten, vielfältig neue Beziehungen einzugehen.
4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten.
5. Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein oder zum Lernen aus Erfahrung, besonders aus Bestrafung.
6. Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für eigenes fehlerbehaftetes Verhalten anzubieten.

Für die Diagnose der "Dissozialen Persönlichkeitsstörung" nach ICD-10 müssen mindestens drei der genannten Eigenschaften und Verhaltensweisen vorliegen. Der Wirtschaftspsychologe Paul Babiak wies im Rahmen einer von 1995 bis 2000 laufenden Langzeitstudie in verschiedenen Unternehmen nach, daß derartige Personen sich in Unternehmenshierarchien nach oben boxen, indem sie sich auf Kosten anderer profilieren - und dadurch für gewöhnlich dem Unternehmen selbst großen Schaden zufügen. Sind sie aber erst einmal in Chefetagen aufgestiegen, dann kann man ihren Machenschaften kaum noch etwas entgegensetzen. Die Firmenstruktur wird pathologisch umorganisiert und krankhafte Organisationen tendieren dazu, Personen einzustellen, welche hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsstruktur zur Firmenstruktur passen.

Der kanadische Psychologe Robert Hare konnte belegen, daß derartige Personen diesbezüglich die gleichen Verhaltensweisen wie chronische Gewalt-Straftäter an den Tag legen, weil sie sich ausschließlich an ihrem eigenen Wertesystem (dem "Maß aller Dinge") orientieren. Solche Menschen suchen sich einflussreiche "Opfer", zu welchen sie (mitunter sehr) enge Beziehungen aufbauen. Über diese Beziehungen fällt es ihnen leicht, gezielt Fehlinformationen zu streuen, um sich selbst gut und um andere schlecht aussehen zu lassen. Sie meiden Sitzungen und Meetings, um sich nicht der ganzen Gruppe stellen zu müssen, sondern "benutzen" stattdessen ihr Opfer als eine Art von Mentor. Der Organisationspsychologe Michael Frese (Uni Gießen) hat festgestellt, daß die "Dissoziale Persönlichkeitsstörung" gerade in Managerkreisen zwar kein Massenphänomen, aber auch ganz sicher kein Einzelfall ist.

Bei Weitem nicht alle Chefs sind Soziopathen. Mein langjähriger Erfahrungswert liegt bei gut einem Drittel der Bosse und auch von anderer Seite wurden mir derartige Erfahrungen in etwa dieser Größenordnung mitgeteilt. Mir fielen vor geraumer Zeit anlässlich eines firmeninternen Umzugs zufällig mal Schulungsunterlagen aus einem Managerseminar in die Hände. Sinngemäß stand dort geschrieben: "Sie müssen sich Ihren Mitarbeitern gegenüber wie ein Schwein verhalten. Sie müssen das jeden Tag aufs Neue tun. Am besten ist es, wenn Sie heute ein noch größeres Schwein als gestern sind und wenn Sie es verstehen, jeden Tag eine Steigerung herbeizuführen." Da frage ich mich doch unwillkürlich: Wie krank muß eigentlich ein Hirn sein, das sich so einen Blödsinn ausdenkt und den dann auch noch weitergibt?

Und wie komplexbehaftet müssen die Leute sein, die so einen Schwachsinn auch noch begierig in sich aufnehmen? Das bedeutet aber leider auch: Als Berufstätiger und als "abhängig Beschäftigter" (wie das Amtsdeutsch den Begriff "Arbeitnehmer" so treffend umschreibt) trifft man irgendwann zwangsläufig auf solche Soziopathen. Wenn Du die Wahl haben solltest, dann achte auf die o. a. Anzeichen und entscheide Dich danach. Nun kann sich heute aber im allgemeinen niemand mehr seinen Job aussuchen. Da ist es unerläßlich, sich zu arrangieren. Eine Art des Arrangierens kann beispielsweise darin bestehen, daß Du den Job nur als Durchgangsstation betrachtest und parallel dazu was anderes suchst.

Je länger das aber dauert, desto eher steht man dann vor der Frage: "Die Firma oder meine Gesundheit?". Diese Frage muß sich jeder selbst beantworten. Im Laufe der Zeit wird irgendwann einmal bei jedem auch das dickste Fell dünner. Den Soziopathen wirst Du aber nicht ändern können (denn er selbst bemerkt sein Verhalten ja nicht!). Du kannst höchstens versuchen, ihn zu meiden. Im englischsprachigen Raum nennt man Soziopathen auch "Toxic People" ("giftige Leute") - weil sie einem schaden.

Stehst Du aber erst vor der Frage "Die Firma oder meine Gesundheit?", dann wird sogar Arbeitslosigkeit zur echten Alternative, denn dabei bleibst Du letzten Endes gesund. Andernfalls stünden zu Deinem Nachteil nur noch Job und gleichzeitig Krankheit zur Wahl. Sicher, das Letztgenannte ist ungesetzlich; der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht - aber im Unternehmen ist der Gesetzgeber weit und als "abhängig Beschäftigter" bist Du immer der Schwächere... Nur, eines solltest Du Dir in dieser Situation klar machen: Du bist jetzt soweit, daß der Soziopath Dir nicht mehr schaden kann! Sicher, er kann Dir kündigen: Na und??? Wenn das Deiner Gesundheit sogar förderlich ist? Hast Du aber erstmal erkannt, daß der Soziopath Dir nicht mehr schaden kann (weil der Job Dir scheißegal geworden ist), dann solltest Du auch den nächsten Schritt wagen und im Bedarfsfall zum Gegenangriff übergehen. Ganz ruhig und sachlich - gib ihm keinen Kündigungsgrund. Es könnte sich wirklich lohnen. Wagen kannst Du es ohnehin, denn Du hast nichts mehr zu verlieren.

Und wenn viele Leute so einen Gegenangriff wagen, dann ist das Soziopathen-Gesindel, das sich für was Erfolgreich-Besseres hält, ganz schnell weg vom Fenster!



 
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