Erbprinzen

Günter Ogger zeigt in seinem Buch "Nieten in Nadelstreifen" auf, welche Fehler in Chefetagen an der Tagesordnung sind. In "Das Kartell der
Abkassierer" beschreibt er, wie die verschiedenen Unternehmen und Konzerne miteinander verknüpft sind. Das Fazit aus beiden (nicht gerade leicht zu lesenden) Werken: In Chefetagen kennt man sich gut. Wird eine Firma heruntergewirtschaftet ("verschlankt", "fusioniert", "rationalisiert", "umgestaltet"...) - wie und warum auch immer - dann wechselt man, wenn man weit genug oben in der Hierarchie ist, einfach in ein liiertes Unternehmen. Der Chefsessel bleibt einem sicher.

In Walter Wüllenwebers Stern-Leitartikel vom 16.7.2003 "Das Märchen von der Chancengleichheit" wird bestätigt, daß dies nach dem Erbprinzenprinzip geschieht. Beispiel (gekürzter O-Text Wüllenweber): Mathias Döpfner, Musikwissenschaftler und Sohn eines Architekturprofessors, aufgewachsen in Frankfurt und Boston. Verheiratet mit der Tochter eines ehemaligen Vorstandes der Deutschen Bank. Er gilt als unübertroffen im Repräsentieren.

Er stieg auf von einem Flop zum nächsten: Zuerst machte der Verlag Gruner + Jahr ihn zum Chefredakteur der "Wochenpost", die er nach seinen Vorstellungen umgestaltete. Sie verlor Auflage, musste verkauft und kurz darauf eingestellt werden. Dann wurde er Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost", die er umgestaltete. Sie verlor Auflage und wurde verkauft. Sein nächster Job war Chefredakteur der "Welt", die er umgestaltete. Aus wirtschaftlichen Gründen hat er sie später mit der "Berliner Morgenpost" zwangsfusioniert. Danach wurde Döpfner 2002 Vorstandsvorsitzender des Verlages Axel Springer. Schon eine dieser "Firmenhinrichtungen" würde normalerweise jede Karriere ruinieren - zumindest bei "Otto Normalverbraucher"!

Wolfgang Hasenpusch formuliert das so: "Mit welcher Systematik personelle Fehlbesetzungen in den Unternehmen toleriert und gehalten werden, nimmt schon masochistische Züge an. In gewisser kausaler Folge verkennen viele schwache Führungskräfte die Talente ihrer Mitarbeiter bewusst. Die alte Weisheit, dass drittklassige Vorgesetzte nur fünftklassige Mitarbeiter einstellen, ist hinlänglich bekannt und immer wieder zu beobachten." Und: "...wie viele ausgewiesene Könner und Wissensträger, die unter ihnen leiden müssen, versauern, ja geradezu vernichtet werden, steht in den Sternen...mal abgesehen von den notorischen Heuchlern, 'Schauspielern' und wundersamen Seilschafts-Karrieren bleibt da nicht viel Saft übrig..." Wer´s komplett nachlesen will:

Erschienen in "CLB - Chemie in Labor und Biotechnik; Heft 4/2005; S. 102-106; Wolfgang Hasenpusch: Diebstähle in der chemischen Industrie - Vieles bleibt im Dunkeln" (Agentur und Verlag Rubikon, Gaiberg). Da werden hoch dotierte Mitarbeiter mit Routineaufgaben zu Tode gelangweilt. Die Dienste teurer interner, durchaus motivierter Koordinationsstellen werden nicht in Anspruch genommen, weil entweder niemand von der Existenz dieser Stellen weiß, weil Konkurrenzneid an der Tagesordnung ist oder weil elitäres Denken vorherrscht. Kreativität wird durch restriktive Vorgaben getötet. Lt. Prof. Dr. Christian Scholz von der Uni Saarbrücken kennen die meisten Unternehmen zwar ihre Personalkosten, nicht aber den monetären Wert ihrer Belegschaft.

Die Sekretärin, die nach Feierabend eine erfolgreiche Häusermaklerin ist. Der Mitarbeiter mit Engagement in einer wissenschaftlichen Forschungsgruppe. Der andere schriftstellerisch tätige Mitarbeiter usw. Ein jeder davon hat seine ganz persönlichen Stärken. Die könnte (und würde er wohl auch) in den Dienst "seines" Unternehmens stellen - wenn man ihn denn liesse! Dem entgegen aber stehen das Schubladendenken von Vorgesetzten und die Angst, jemand könnte ihnen ihren Platz streitig machen.

Gerade aber der letztgenannte Punkt führt nur allzu oft dazu, daß jede menschliche Qualität auf der Strecke bleibt. In Folge verschlechtert sich das Arbeitsklima zu Lasten des Unternehmens. Margit Schönberger geht daher mit ihrem Buch "Mein Chef ist ein Arschloch - Ihrer auch?" der Frage nach den Ursachen des Versagens in Chefetagen nach. Betrachtet man alle diese Publikationen zusammen, dann verwundert es eigentlich nicht mehr im Mindesten, warum auf eine wirtschaftliche Stagnation in Deutschland im Jahre 2003 erstmals eine Depression folgte - warum also soviele Unternehmen pleite machen. Bei schlecht oder falsch geführten Unternehmen sind es zuerst immer die Arbeitnehmer, an denen gespart wird. Die werden entlassen.

Folge: Höhere Arbeitslosigkeit, geringere Kaufkraft. Gerade die Kaufkraft ist es jetzt aber, die das angeschlagene Unternehmen noch retten könnte. Da die fehlt, kommt die Rettung nicht - das Unternehmen macht dicht: Noch mehr Arbeitslose, noch weniger Kaufkraft. Das nächste Unternehmen wird aufgrund der wirtschaftlichen Verknüpfungen in Mitleidenschaft gezogen...

Wirtschaft ist eben kein Dreisatz (wie Kaufleute gerne annehmen), sondern ein komplexes dynamisches System. Und wenn sich da die Abwärtsspirale erstmal dreht...

Die Zeiten, da ein Chef über den Bewährungsaufstieg in die Führungsetage gelangt ist, scheinen endgültig vorbei zu sein. Solche Bosse wussten noch, wie der Laden läuft - weil sie es am eigenen Leib erfahren haben und ihre Ziele nicht nur definieren, sondern auch den Untergebenen vermitteln konnten. Sie waren sensitiviert für die Strömungen und Stimmungen in ihrem Unternehmen. Sie erkannten instinktiv, wer wo mit welcher Aufgabe am besten aufgehoben war und setzten die Mitarbeiter entsprechend ihrer naturgegebenen Fähigkeiten optimal ein.

Mitarbeiter waren für sie eben einfach noch Menschen mit ganz individuellen Fähigkeiten (die man gezielt nutzen konnte) und nicht nur "Humanressourcen" oder "untere Chargen" (O-Ton-Managerjargon). Das widerum motivierte die Mitarbeiter und sie erzielten damit auch ein optimales Ergebnis - nicht nur zum wirtschaftlichen Vorteil der Firma, sondern indirekt auch zum Wohle der anderen Mitarbeiter, womit eine Motivationsspirale in Gang gesetzt worden war. Ich habe zweimal mit solchen Chefs zu tun gehabt, was bislang gut die Hälfte meines Arbeitslebens ausmachte - und es war ein schönes und fruchtbares Arbeiten.

Heute sieht es leider anders aus. Elitäres Denken, gepaart mit Titelhörgkeit, bilden eine tödliche Mischung. Mitarbeiter werden nicht mehr dadurch motiviert, daß sie wissen, was und warum sie etwas tun. Das Verständnis für die eigene Tätigkeit, für die eigene Arbeitsleistung, fehlt. Ja, man geht offensichtlich in den höheren Etagen der Hierarchien sogar soweit, zu glauben, daß die Arbeitnehmer geistig zu minderbemittelt wären, um zu begreifen, warum und was sie tun: ein typisches Merkmal von elitärem Denken.

Das frustriert! Da leistet keiner mehr freiwillig was und Leistung ist auch nicht mehr gefragt; man kauft sich ein oder wird eingekauft.

Zitat Walter Wüllenweber: "Über 80 Prozent der Nummer-eins-Chefs in den großen deutschen Unternehmen stammen aus dem Bürgertum, jener hauchdünnen Schicht, der nur 3,5 Prozent der Gesellschaft angehören. Die Hälfte kommt sogar aus dem gehobenen Bürgertum, also dem obersten halben Prozent. Eine Klasse für sich."

Und: "In der Phase seines größten Lernhungers wird der Nachwuchs darum nur mit karger Hirn-Nahrung gefüttert. Von systematischer Förderung keine Rede.

Es sei denn, ein Kind hat die richtigen Eltern, die sich eine private Kita mit gut ausgebildeten Erziehern leisten können. Eltern, die ihrem Nachwuchs am Nachmittag etwas anderes bieten können als die Glotze. Vielleicht Klavierunterricht." Dazu passt ein altes Sprichwort: Geld kommt zu Geld. Ich bezeichne sowas als das "Erbprinzenprinzip".

Ein Beispiel, wie es jeden Tag und überall immer wieder vorkommt: Da ist der langjährige, verdiente Sachbearbeiter, dem eigentlich aufgrund seiner Leistungen für das Unternehmen ein Aufstieg zum Abteilungsleiter ermöglicht werden sollte. Aber er hatte die falschen Eltern, nämlich Leute ohne viel Geld. Und so war´s auch nichts mit frühkindlicher Förderung, Gymnasium, Studium usw. - nur mit Engagement und Arbeitsleistung. Folglich hat er auch keinen Titel.

Dazu nochmal Wüllenweber: "Der Kindergarten - wichtigste Basisförderung für alle - kostet Geld. Studieren - ein Privileg für wenige - ist kostenlos. In der Periode, in der die Benachteiligung am wirksamsten bekämpft werden könnte, in den ersten sechs Lebensjahren, kümmert sich der Staat fast gar nicht um die Kinder. Statt sie zu fördern, werden sie schon mit zehn Jahren brutal aussortiert. Je größer die Kinder werden, desto weiter werden die Ansprüche gesenkt. Immer das Falsche, immer zur falschen Zeit. Würden sich die Reichen und Mächtigen einen Plan ausdenken, um ihre Macht zu zementieren - sie könnten es nicht besser machen."

Aufgrund der fehlenden Eliteausbildung und des fehlenden Titels setzen dem Sachbearbeiter jetzt die Leute, die - da sie ja selbst einer elitären Klasse entstammen - Leistung nicht aus eigener Erfahrung korrekt beurteilen können, jemanden "Eingekauften" vor die Nase. Jung, dynamisch, erfolglos und unerfahren. Aber willig und - ganz im Sinne der schon vorhandenen Führungsriege - sehr elitär denkend. Also auf gleicher "Wellenlänge" liegend (Ganz nach dem Sprichwort: "Gleich und Gleich gesellt sich gern".). Damit der jetzt weiß, worum es in seinem Job gehen soll, kommt der zukünftige Chef vielleicht für ein paar Wochen zu besagtem Sachbearbeiter, um "mal in den Laden reinzuriechen".

Wie sozial abgestumpft müssen Vorgesetzte eigentlich sein, um nicht zu bemerken, wie demotivierend sowas auf langjährige Mitarbeiter wirkt? Wenn einem berufsfremden "Neuen" zugetraut wird, binnen ein paar Wochen das zu lernen oder gar zu beurteilen, wozu sonst Jahre der Praxis vonnöten sind?

Dort erhält der "Neue" jedenfalls die eine oder andere Aufgabe. Und baut i. d. R. (mangels Erfahrung aber mit viel eingebildeter Bildung) Mist. Er wird aber der zukünftige Chef sein. Soll er jetzt auf seinen Fehler hingewiesen werden? Schlecht für den Sachbearbeiter, denn jemand, der elitär denkt, macht normalerweise keine Fehler - schließlich gehört er ja zur Elite! Weist man ihm dennoch welche nach, dann hat man ihn gegen sich. Dann hat man seinen zukünftigen Chef gegen sich!

Oder soll der Sachbearbeiter jetzt (womöglich unbezahlte, auf jeden Fall aber vermeidbare) Mehrarbeit in Kauf nehmen und den Mist klammheimlich wieder ausbügeln? Auch schlecht für ihn, denn dann bestätigt er den "Neuen" nur im Fehlverhalten - langfristig zu seinem ganz persönlichen Schaden, denn dann kann er immer wieder was ausbügeln. Wenn ihm dabei selbst ein Fehler unterlaufen sollte - was über kurz oder lang unausweichlich ist - dann hat er sogar eigenmächtigerweise den Vorgaben seines Vorgesetzten zuwider gehandelt: womöglich Grund für eine Abmahnung oder gar für eine Kündigung.

Wie er es auch drehen mag, in einem solchen Fall hat er immer die Arschkarte gezogen. Sowas demotiviert noch mehr. Also wird morgens zum Arbeitsbeginn "das Gehirn an der Garderobe abgegeben". Nach mir die Sintflut.

Zitat Margit Schönberger: "Es gibt heute Personalchefs, die sortieren - in Absprache mit Geschäftsleitungen - im Vorfeld schon alle Bewerber aus, die Ecken und Kanten in ihrer Persönlichkeit vermuten lassen. Vermutete 'Widerspruchsgeister' (also mitdenkende, wache, couragierte und interessierte Mitarbeiter) werden zugunsten von Angepassten erst gar nicht angestellt...

...so bringt die Angst vor Emotionen Firmen um exzellente Mitarbeiter und damit Erträge." Mitarbeiter mit Ecken und Kanten in ihrer Persönlichkeit - ist das nicht automatisch jeder Arbeitnehmer, der schon langjährige Erfahrung gesammelt hat? Der also weiß, wo es langgeht? Finden Firmenpleiten etwa deshalb statt, weil in Führungsebenen eine instinktive Angst davor besteht, daß der Untergebene in irgendeiner Form "besser" als der Chef sein könnte?

Elitäre Vorgesetzte laufen ins offene Messer. Den Schaden hat das Unternehmen. Und bei vielen Unternehmen die ganze Wirtschaft...

Doch so sehen es die Chefs normalerweise nicht. Sie können es auch gar nicht so sehen, wenn sie nicht wissen, wie es an der Basis läuft. Und die Basis kennen sie aufgrund des "Erbprinzenprinzips" nicht. Sie verschanzen sich hinter Wahlsprüchen wie beispielsweise "Menschenführung ist, wenn man den Mitarbeiter so schnell über den Tisch zieht, daß er die Reibungshitze als Nestwärme empfindet" (So ein Schild habe ich selbst an der Wand hinter einem Chefschreibtisch gesehen - es sollte demonstrieren, was der Chef unter Motivation verstand!).

Ich wurde mal von einem CDU-Politiker (Landtagsabgeordneter in Niedersachen - den Namen möchte ich hier vorsichtshalber nicht nennen) ausdrücklich gebeten, ihn über derartige Zustände in Unternehmen zu informieren. Er gab ganz offen zu (immerhin!), daß ihm die Verhältnisse in Betrieben und die Denkweisen von Arbeitnehmern gänzlich unbekannt waren, da er nur sein Universitätsstudium und seine politischen Aktivitäten kannte.

Ich informierte ihn per sehr ausführlicher E-Mail: Reaktion gleich Null; ich weiß nicht mal, ob er´s überhaupt gelesen hat. Aber ich machte mir auch meine Gedanken: Wenn dieser Politiker, dieser Volksvertreter, nun kein Einzelfall ist? Wenn es bei den Politikern, vielleicht auch bei den Gewerkschaftbossen usw. genauso läuft wie bei den Firmenchefs? Wenn auch da nur eine "Elite" zum Zuge kommt? Die Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft scheinen zu bestätigen, daß genau dies der Fall ist! Aber wohin steuert dann unsere Wirtschaft und wohin steuert unser Land?

Fassen wir hier mal die wesentlichen Punkte der obigen Ausführungen zusammen:

Was braucht ein Unternehmen, um erfolgreich weiterbestehen zu können?

Da ist erstmal die Motivation der Mitarbeiter. Nur motivierte Mitarbeiter sind lern- und qualifizierungsbereit. Die Motivation der Mitarbeiter setzt als elementarste Grundlage voraus, daß die Chefs ganz profane Sachkenntnisse vorweisen können. Dem aber steht normalerweise der Einstieg von externer Seite und das elitäre Denken entgegen.

Die Motivation von Mitarbeitern wird aber auch noch durch Belohnung gefördert. Belohnung - das ist Geld, das ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Beides aber gibt´s doch im Grunde nur noch in den Chefetagen und da ganz unabhängig von dem, was eigentlich "verbrochen" wird.

Ketzerische Schlußfrage:
Ist ein erfolgreiches Unternehmen dann nicht vielleicht besser bedient, wenn es sich diese Art von Chefs nur zum Repräsentieren leistet (das Modepüppchen mit elitärem Habitus als Aushängeschild) und die Entscheidungen denen überlässt, die aus beruflicher Erfahrung wissen, worum es geht?

Findest Du sowas nicht auch in höchstem Maße bedenklich??? Das "Drehbuch" dazu könnte von Larry Burkett*) stammen...

*) Larry Burkett: Die Illuminaten (Projektion J Verlag GmbH Wiesbaden 1991 ISBN 3-925352-80-5)



 
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