Wie alle Pandemien begann auch diese harmlos. Ein neues Coronavirus tauchte in Brasilien auf, sprang von Fledermäusen auf Schweine über und von dort auf Landwirte. Die Viren erreichten schließlich eine größere Stadt mit einem internationalen Flughafen – und von dort aus trugen infizierte Reisende das Virus in die USA, nach Portugal und nach China. Innerhalb von 18 Monaten hatte sich das Coronavirus über die ganze Welt verteilt, 65 Millionen Menschen waren daran gestorben, und die Weltwirtschaft befand sich im freien Fall. Dieses als "Event 201" ("Ereignis 201") bezeichnete Szenario wurde im Oktober 2019 in einem New Yorker Konferenzzentrum einem Gremium aus Wissenschaftlern, Regierungsvertretern und Geschäftsleuten vorgestellt. Die Anwesenden waren erschüttert – und genau das wollte Ryan Morhard erreichen. Der Experte für biologische Sicherheit ist für das Weltwirtschaftsforum in Genf tätig. Die führenden Köpfe der Welt nahmen, so seine Sorge, die Gefahr einer Pandemie nicht ernst genug. Deshalb wollte er sie mit den möglicherweise immensen Verlusten an Menschenleben und den gewaltigen wirtschaftlichen Folgen konfrontieren. "Wir nannten es ›Event 201‹, weil wir bis zu 200 Epidemie-Ereignisse pro Jahr beobachten", erklärt Morhard, "und wir wissen, daß unter Umständen eins davon zu einer Pandemie führen könnte." Der Zeitpunkt der Präsentation und die Wahl eines Coronavirus erwiesen sich als geradezu hellseherisch: Nur zwei Monate später kamen aus China Berichte über einen mysteriösen Ausbruch von Lungenentzündungen in der Stadt Wuhan – es war der Beginn der Covid-19-Pandemie. Bislang sind weltweit rund 800 000 Menschen an den Folgen der Krankheit gestorben. Morhard war nicht der Einzige, der Alarm schlug. "Event 201" war nur eine von Dutzenden Simulationen und Analysen in den vergangenen zwei Jahrzehnten, die die Risiken von Pandemien aufzeigten und auf Lücken in den Fähigkeiten von Regierungen und Organisationen, auf Pandemien zu reagieren, hinwiesen. Diese Planspiele sahen viele Probleme voraus, die bei der Bekämpfung von Covid-19 bislang tatsächlich aufgetreten sind: Verstöße gegen Reiseverbote, fehlende medizinische Ausrüstung, schlechte Organisation, Verbreitung falscher Informationen und das Gerangel um Impfstoffe. Doch es gibt auch unerwartete Probleme, die von den Szenarien nicht berücksichtigt wurden, etwa den Mangel an diagnostischen Tests – und Politiker, die den Rat von Gesundheitsexperten einfach ignorieren. Vor allem haben die Forscher nicht vorhergesehen, daß die USA zu den am stärksten betroffenen Ländern zählen würden. Im Gegenteil: Noch im Jahr 2019 sahen führende Experten für biologische Sicherheit die USA an der Spitze des "Global Health Security Index", der auf Basis von mehr als 100 Faktoren vergleicht, wie gut 195 Länder auf die Bekämpfung einer ausbrechenden Epidemie vorbereitet sind. Präsident Trump hielt am 27. Februar 2020 bei einer Besprechung im Weißen Haus eine Kopie dieses Berichts hoch und betonte: "Wir sind die Nummer eins!" Zu diesem Zeitpunkt breitete sich Covid-19 bereits unentdeckt in den USA aus. Inzwischen haben sich mehr als 5,5, Millionen Menschen in den USA mit Sars-CoV-2 infiziert, mehr als 174 000 sind gestorben – und die USA präsentieren sich als eine der Nationen, die am schlechtesten mit dem Virus zurechtkommen. Morhard und andere Experten fragen sich, was falschgelaufen ist – warum waren Dutzende von Simulationen und Evaluationen nicht in der Lage, die kolossalen Fehler einer der reichsten Nationen der Welt vorherzusagen oder zu verhindern? Länder dagegen, die bei Weitem nicht so hoch bewertet worden waren wie beispielsweise Vietnam, stachen durch rasches, entschlossenes Handeln hervor. Trotz allem liefern die Szenarien wichtige Hinweise darauf, wie sich die aktuelle Pandemie eindämmen lässt – und was man beim nächsten Mal besser machen kann. Tödliche Pandemien lassen sich nicht verhindern, sagt Tom Frieden, ehemaliger Leiter der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC): "Was sich dagegen verhindern lässt, ist, daß wir weiterhin unvorbereitet sind." Mehr als nur ein Spiel Pandemie-Simulationen wurden erstmals in den 2000er Jahren populär. Spezialisten für biologische Sicherheit und Experten aus dem Gesundheitswesen schauten sich die Idee von militärischen Planspielen ab. Sie wollten das Gesundheitswesen einem Stresstest unterziehen, schauen, wo Probleme auftreten und was Politikern genug Angst einjagt, damit sie diese Probleme beheben. Bei der Durchführung der Planspiele sitzen Wissenschaftler, Geschäftsleute und Regierungsvertreter beieinander und müssen in Echtzeit Entscheidungen treffen, um mit einer sich ausweitenden Krise umzugehen, die ihnen im Stil von Fernsehnachrichten präsentiert wird. Zwei der ersten derartigen Planspiele simulierten biologische Angriffe, bei denen feindliche Staaten Pockenviren in den USA freisetzen: "Dark Winter" und "Atlantic Storm" wurden 2001 und 2005 von Biosicherheits-Denkfabriken in den USA durchgeführt. Einflussreiche Entscheidungsträger nahmen an ihnen teil, beispielsweise die frühere Leiterin derWeltgesundheitsorganisation WHO, Gro Harlem Brundtland, sowie Madeleine Albright, Außenministerin der USA unter Präsident Bill Clinton. Im Verlauf von "Dark Winter" und "Atlantic Storm" erlebten die Teilnehmer, wie Machtkämpfe zwischen Politikern auf unterschiedlichen Ebenen Maßnahmen gegen eine Epidemie mit rasant steigenden Infektionszahlen behindern können. Krankenhäuser waren vom Zustrom an Patienten überfordert, und die nationalen Impfstoffvorräte reichten nicht aus. Die Ergebnisse der Simulationen führten zusammen mit den noch frischen Erinnerungen an terroristische Anschläge und Milzbrand-Attentate im Jahr 2001 dazu, daß der US-Kongress handelte, sagt Tom Inglesby, Leiter des Center for Health Security an der Johns Hopkins University in Baltimore, der auch an der Leitung beider Planspiele beteiligt war. Bereits kurz nach "Dark Winter" verpflichtete sich die US-Regierung, einen nationalen Vorrat an Impfstoffen gegen Pocken aufzubauen. Und 2006 verabschiedete der Kongress den "Pandemic and All-Hazards Preparedness Act", um die Reaktionsfähigkeit des nationalen Gesundheitssystems im Ernstfall zu verbessern. Dazu gehörte auch die verstärkte Förderung der Erforschung neu auftretender Infektionskrankheiten. "Es zeigte sich, daß all die Dinge, an denen wir arbeiteten, nicht dem entsprachen, was wir wirklich benötigten." (Ryan Morhard, Experte für Biosicherheit)
Wenige Monate vor einer Serie von Milzbrand-Anschlägen in den USA.
Ausgelöst durch ein Coronavirus breitet sich Sars in einem Dutzend Ländern aus.
Die Länder sichern zu, Krankheitsausbrüche besser zu überwachen und unverzüglich zu melden.
"Wir haben eine starke Endphase, sobald es einen Impfstoff gibt, und wir haben eine starke Anfangsphase, wenn Länder bei niedrigen Fallzahlen die Ausbreitung eindämmen könnten", sagt Konyndyk. Doch der Tatsache, daß man auch genügend Personal im Gesundheitswesen vorhalten und dieses anschließend koordinieren müsse, bekäme ebenso zu wenig Aufmerksamkeit wie biomedizinische Ressourcen, die notwendig sind, um genug Menschen zu testen, zu behandeln, ihre Kontakte nachzuverfolgen und unter Quarantäne zu stellen. Und genau vor diesem Problem stehen die USA gerade. Dabei ist es nicht so, als hätten "Clade X" und andere Simulationen die Herausforderungen, die in der mittleren Phase einer Pandemie auf Staaten zukommen, nicht aufgezeigt. In der vom US-Gesundheitsministerium 2019 durchgeführten Übung "Crimson Contagion" kehrten beispielsweise Touristen mit einem neuartigen Grippevirus in die USA zurück. Dieses breitete sich zunächst in Chicago aus und infizierte schließlich 110 Millionen US-Amerikaner. (Die Forscher gingen in der Simulation von einem Virus aus, das ansteckender als Sars-CoV-2 war.) Während die Verantwortlichen darüber stritten, wie geeignete Maßnahmen durchzusetzen seien und auf welche Weise Equipment verfügbar zu machen sei, vergrößerten sich die organisatorischen Probleme auf lokaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene. In einem nach der Simulation erschienenen Bericht wurde hervorgehoben, daß das US-Gesundheitsministerium – das die Oberaufsicht über die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und die Food and Drug Administration (FDA) hat – keine ausdrückliche Befugnis dafür besitzt, nationale Maßnahmen gegen eine Pandemie einzuleiten und auch über keine finanziellen Mittel für solche Maßnahmen verfügt. Doch wie bei "Clade X" konzentrierte sich die Diskussion auf naheliegende Strategien für die Endphase des Planspiels wie die Entwicklung von Impfstoffen und nicht auf die deutlich kompliziertere Aufgabe, das nationalen Gesundheitssystems zu stärken. Doch immerhin zeigten sowohl "Clade X" als auch "Crimson Contagion" die staatlichen und behördlichen Schwächen auf. Im Global Health Security Index und auf einer ähnlichen Bewertungsskala der WHO, der Joint Health Evaluation, sind diese Schwächen jedoch weniger sichtbar. Soweit es um die Entdeckung neuer Pathogene geht, stehen die USA danach dank ihres Netzes von Laboratorien und "eines extensiven kommerziellen Marktes" hervorragend da. Doch als die Corona-Pandemie 2020 immer weiter um sich griff, zeigte sich, daß die USA mehr benötigen als Laborkapazitäten und Legionen von Epidemiologen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die Abrechnung Ende Januar 2020 wurde Inglesby unruhig. Der Corona-Ausbruch eskalierte in China mit beängstigender Geschwindigkeit und griff auf immer mehr Länder über, darunter auch auf die USA. Das entsprach genau den düsteren Vorhersagen, die er in seine Simulationen implementiert hatte. Doch die Trump-Regierung schien den Ausbruch als ein rein chinesisches Problem anzusehen, sagt Inglesby. In der dritten Januarwoche setzte Trump genau einen beruhigenden Tweet zum Coronavirus ab – und 40 zu seinen Impeachment-Anhörungen, seinen Wahlkampfveranstaltungen und darüber, wie er gegen die Demokraten gewinnen würde. Die einzige öffentliche Maßnahme der US-Regierung war die Einführung eines Screenings von Reisenden aus China auf Symptome an einigen internationalen Flughäfen. Für Inglesby war klar, daß Reiseverbote und Kontrollen am Flughafen nicht ausreichen würden, um die Ausbreitung eines ansteckenden Pathogens zu verhindern. Am 26. Januar schlug er daher über Twitter eine Reihe von notwendigen Maßnahmen vor, um die USA auf die Pandemie vorzubereiten. "Die Verantwortlichen der Welt und der Nationen sollten für den Fall vorausplanen, daß sich das neue Coronavirus nicht aufhalten lässt", schrieb er. Die Liste enthielt die Themen Impfstoffentwicklung, Ausweitung der Schutzausrüstung für Angestellte im Gesundheitswesen und "eine sehr hohe Anzahl von zuverlässigen diagnostischen Tests". Diese Maßnahmen sind zur Bekämpfung fast aller Infektionskrankheiten wichtig, aber im Fall eines neuartigen Ausbruchs müssen sie mit Höchstgeschwindigkeit umgesetzt werden. Sicherheitsexperten haben dieses Lernziel deshalb in jede Simulation eingearbeitet – denn wenn eine Epidemie nicht gleich in den ersten Monaten richtig bekämpft wird, hat das später katastrophale Folgen. Stephen Morrison, Leiter der Abteilung für globale Gesundheitspolitik am Center for Strategic and Internationale Studies in Washington, drückt es so aus: "Man kann nicht wochenlang herummurksen und dann konfuse, halbgare und nicht besonders ernst gemeinte Maßnahmen starten." "Man benötigt Benzin im Motor und Bremsen, die funktionieren. Aber wenn der Fahrer das Auto nicht benutzen will, dann kommt man nirgendwo hin." (anonymer Wissenschaftler)
(Scott Dowell, Spezialist für Infektionskrankheiten)
© Springer Nature Limited Amy Maxmen Jeff Tollefson Spektrum, Titel: Pandemie-Simulationen: Üben für den Ernstfall
Ganz im Geheimen lief europaweit im Hintergrund ein Versuch ab, wie man bestimmte Krisen beherrschen könnte. Auch eine Pandemie wurde dabei als Ausgangsszenario angenmmen. Ich wurde durch Prof. Alexander Kekulés Buch "Der Corona-Kompass" darauf aufmerksam und begriff sofort, daß die Maßnahmen, wie sie der Normalbürger als Eindämmung der Corona-Pandemie begreift, im Grunde mit Corona gar nichts zu tun haben sondern als eine Vorlage, ein Testszenario dient, um jedwede Krise egal, welcher Art, in den Griff zu bekommen. Zahlreiche Science-Fiction-Filme dienten dafür als Blaupause. Wir dürfen also erwarten, daß der Versuch, die Klimakrise zu beherrschen, mit ebensolchen Maßnahmen wie bei der Corona-Krise begleitet wird. Die vielzitierte "Normalität wie vor Corona" wird es daher nie mehr geben. Zumindest nicht nach den Vorstellungen der Regierungen. "Die Politik in der Corona-Krise kam nicht aus heiterem Himmel. Der „Kampf gegen die Viren“ begann schon in den 1990er Jahren als „Kampf gegen den Bioterror“. Eine Recherche zeigt: Über zwanzig Jahre lang wurden seither in Planspielen immer wieder Pandemie-Szenarien geprobt, erst in den USA, später international abgestimmt, auch mit deutscher Beteiligung. Die Titel dieser Übungen erinnern an Hollywood-Produktionen: „Dark Winter“ (2001), „Global Mercury“ (2003), „Atlantic Storm“ (2005) oder „Clade X“ (2018). Beteiligt waren hochrangige Behörden- und Regierungsvertreter sowie bekannte Journalisten, zuletzt, bei „Event 201“ im Oktober 2019, auch Vorstandsmitglieder großer Weltkonzerne. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO 2020 eine Coronavirus-Pandemie ausgerufen hatte, wurden viele der jahrelang geprobten und diskutierten Maßnahmen global umgesetzt." "In den Drehbüchern tauchten schon vor 20 Jahren Passagen wie diese auf: „Der Anblick von bewaffneter Militärpräsenz in amerikanischen Städten provoziert Proteste gegen die Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten (…) Die Frage ist, wie und in welchem Maße wir diese Dinge durchsetzen. Wie viel Gewalt wendet man an, um die Menschen in ihren Häusern zu halten?“ Im Falle einer Pandemie könnten „grundlegende Bürgerrechte wie das Versammlungsrecht oder die Reisefreiheit nicht länger für selbstverständlich“ genommen werden. Freiheitsbeschränkungen, aber auch Massenimpfungen, waren regelmäßiger Bestandteil der Planspiele."
Links zu Thema: 19.05.2022 Wochenblick, Titel: Pandemie-Simulation: G7-Minister üben heute “Leopard-Pocken” Wochenblick, Titel: Globale Planspiel I: Event 201 & Co. – Alles nur Verschwörungstheorien? Wochenblick, Titel: Globale Planspiel II: Von der Pandemie-Simulation zur “Agenda 2030” 22.05.2022 TKP, Titel: So wurde die Affenpocken-Pandemie geplant NTI, Titel: Strengthening Global Systems to Prevent and Respond to High-Consequence Biological Threats (pdf, 36 pages, 1,70 MB) |